So wie es wärmer wird und der Sommer beginnt, ist auch der perfekte Zeitpunkt gekommen, unsere Meditationspraxis nach draußen zu verlagern. Gehmeditation im Freien ist ein guter Weg, um unsere Aufmerksamkeit in unserem Körper zu sammeln und den Geist zur Ruhe zu bringen – und gleichzeitig das gute Wetter und die Natur zu genießen.
Viel zu oft hetzen wir von A nach B, ohne uns dem Prozess wirklich bewusst zu sein. Wir wollen nur ans Ziel. Bei der Gehmeditation haben wir die Möglichkeit, einmal genau das Gegenteil zu tun: Ohne Ziel den Prozess des Gehens zu erfahren.
Du kannst dir Gehmeditation als langsames Spazierengehen vorstellen, bei dem es um nichts anderes geht, als ein Fuß vor den anderen zu setzen. Wir wollen hier nichts erreichen, sondern einfach nur gehen – Schritt für Schritt.
Beim Gehen meditieren: So geht’s
Um das Meditieren beim Gehen zu üben empfiehlt sich ein ruhigen Ort im Freien, der sich gut für dich anfühlt und bei dem du ganz abschalten kannst. Es kann im Wald, am Strand, auf einer Wiese oder sonst wo sein, wo du dich wohlfühlst. Für die ersten Versuche reicht jedoch auch ein Flur, ein größeres Zimmer oder ähnliches.
Ich empfehle dir für die Gehmeditation barfuß (oder mit dünnen Schuhen) zu gehen, um jede noch so kleine Empfindung spüren und dich ganz mit dem Boden, auf dem du gehst, verbinden zu können.
- Bevor du beginnst, nimm dir einige Momente Zeit, um an dem Ort, an dem du dich gerade befindest, ganz anzukommen. Schaue dich in der Umgebung um, achte auf Gerüche, Geräusche und darauf, wie du dich jetzt hier fühlst.
- Beginne nun langsam zu gehen. Du kannst in einem großen Kreis gehen, eine Strecke bilden oder einfach ohne genaue Richtung einen Schritt nach dem anderen machen.
- Erlaube deinem Blick, deinem Kiefer und deinem ganzen Körper zu entspannen. Lasse dich tragen.
- Bringe deine Aufmerksamkeit zu deinen Füßen und spüre, wie sie den Boden berühren. Wie fühlen sich die Fußsohlen an, wenn sie den Boden berühren und wieder verlassen? Achte genau auf die Empfindungen, die beim Heben und Senken der Füße entstehen.
- Bleibe bei dieser Übung. Wenn dich etwas ablenkt, dann bemerke es einfach kurz und kehre dann zu den Empfindungen in deinen Füßen zurück.
- Wenn du Meditation beenden möchtest, nimm dir noch mal einen Moment Zeit und spüre in dich hinein. Wie fühlst du dich körperlich? Wie fühlst du dich geistig? Wie fühlst du dich emotional?
- Gehe mit diesem Bewusstsein weiter in deinen Tag und wiederhole die Übung bei Gelegenheit.
Diese Übung der Gehmeditation ist so einfach und wunderbar, dass sie von jedem praktiziert werden kann. Es geht nicht darum irgendetwas zu erreichen – einen bestimmten Zustand oder ähnliches. Ganz und gar nicht. Wir wollen einfach bei dem sein, was gerade ist – in diesem Fall eben bei den Empfindungen in den Füßen.
Wenn es dir so leichter fällt, kannst du bei Bedarf auch die Schritte mit deinem Atem oder einem Mantra verbinden. Wenn es jedoch auch so geht, dann bleibe lieber bei der einfachen Variante und fühle einfach – und komme immer wieder zum Fühlen zurück.
Gehe, als würden deine Füße die Erde küssen.
– Thich Nhat Hanh
Die beste Zeit zum Gehen
Eine beste Zeit zum Gehen gibt es nicht. Wann immer du auf den Beinen bist oder ein paar Schritte gehen möchtest, kannst du die Gehmeditation praktizieren. Du brauchst keine fixe Zeit für sie, sondern kannst sie so in einen Alltag einbauen, wie es eben passt.
Ob zum Beginn des Tages, am Ende des Tages oder mittendrin, eine kurze Gehmeditation im Freien tut immer gut – so wie auch ein Spaziergang immer gut tut.
Eine besondere Zeit zum Praktizieren der Gehmeditation gibt es jedoch, nämlich in Verbindung mit einer klassischen Meditation im Sitzen. Wenn du mal eine längere Meditationssession machen möchtest, kannst du dich wunderbar zwischen Sitzen und Gehen abwechseln und so eine ganz besondere Erfahrung machen.
Für viele buddhistische Mönche sieht so tatsächlich ihre Meditationspraxis aus: eine Stunde sitzen, eine Stunde gehen, eine Stunde sitzen, eine Stunde gehen, … Nicht nur verhindert dieser Wechsel körperliche Schmerzen von zu langem Sitzen, sondern wirkt auch erfrischend auf den Geist und kann die Meditation sowohl vertiefen als auch erweitern.
Bei alltäglichen Wegen meditieren
Die Gehmeditation bietet sich natürlich auch auf alltäglichen Wegen an, wenn wir von A nach B kommen müssen. Sei es auf dem Weg zur Arbeit, in den Supermarkt oder zum Sportverein – oft gehen wir zu Fuß und nutzen die Zeit, um über das nachzudenken, was heute schon passiert ist oder vielleicht noch passieren wird.
Stattdessen können wir unsere Aufmerksamkeit auf das lenken, was gerade passiert: Wir gehen, Schritt für Schritt, zu unserem Ziel. Vielleicht haben wir einen Rucksack dabei, eine Tasche oder tragen eine Jacke. All dessen können wir uns bewusst werden und in unsere Achtsamkeit miteinbeziehen.
Wir müssen daraus keine Meditation machen, sondern können es einfach als alltägliche Achtsamkeitsübung betrachten. Wo befindet sich unser Körper gerade? Wie bewegt er sich? Mit was ist er in Berührung? Was alles können wir durch ihn empfinden?
Dies können wir uns immer wieder fragen und zurück zu dem kommen, was gerade ist. Dafür müssen wir nicht mal unbedingt gehen. Auch beim Anstehen an der Schlange oder beim Sitzen im Auto können wir uns daran erinnern: „Mein Körper ist da, ich kann etwas fühlen.“
Gehen statt sitzen?
Doch dient Gehmeditation wirklich als Ersatz zur klassischen Meditation im Sitzen? Wenn ich ganz ehrlich bin: Nicht ganz. Zumindest nicht für mich. Das Meditieren im Sitzen hat für mich immer noch den Vorteil, dass ich hier leichter ganz zur Ruhe kommen kann. Jedoch birgt das Meditieren im Gehen einige Dinge in sich, die beim Sitzen schwerer zu finden sind.
- Es baut eine Brücke zum Alltag. Bei der Gehmeditation haben wir den Vorteil, dass wir unsere Konzentration während einer körperlichen Aktivität üben können. So haben wir es leichter, uns auch im Alltag während alltäglichen Aufgaben konzentrieren und bei uns bleiben zu können.
- Ist energetisierend. Am Morgen eine ruhige Runde spazieren zu gehen ist der perfekte Start in den Tag. Nicht nur weckt es unseren Körper auf, sondern bereitet uns auch geistig auf den Tag vor. Doch nicht nur am Morgen wirkt die Gehmeditation energetisierend. Auch zwischendrin können ein paar Minuten Gehmeditation Wunder bewirken.
- Kann immer geübt werden. Gehmeditation ist die perfekte Achtsamkeitspraxis für den Alltag. Oft sind wir auf den Beinen und können die Gelegenheit nutzen, mehr Bewusstsein in jeden einzelnen Schritt zu bringen.
- Ist abwechslungsreich. Vor allem aber ist Gehmeditation im Freien eine schöne Abwechslung zur klassischen Sitzmeditation. Es hat das beste von beiden Welten: die innere Ruhe und die Verbundenheit mit der Außenwelt. Das macht es zu einer Übung, die auch für nicht-Meditierende sehr spannend sein kann.
Grundsätzlich würde ich die klassische Sitzmeditation nicht mit Gehmeditation ersetzen, sie aber durchaus vorübergehend als Ersatz oder dauerhaft als wunderbare Ergänzung üben.
Es ist eine einfache Übung
Gehmeditation ist eine einfache Übung, die jeder praktizieren kann. Wir müssen es nicht kompliziert machen, sondern können einfach aufstehen, gehen und das fühlen, was uns unsere Füße zum Fühlen geben. Es ist wirklich sehr einfach.
Doch das heißt natürlich nicht, dass keine Ablenkungen da sein werden und die Aufmerksamkeit dauerhaft bei den Empfindungen der Füße sein werden. Nein. Gedanken werden uns ablenken, andere Empfindungen werden uns ablenken und unsere Umgebung wird uns ablenken. Aber darum geht es auch nicht.
Die Übung besteht viel mehr darin, immer wieder zurück zu dem zu kommen, was wir gerade empfinden, selbst wenn wir kurzzeitig abgelenkt oder in Gedanken versunken waren. Gehe daher offen an die Übung heran und sei experimentierfreudig, dann wirst du auch Freude an ihr haben.
Das könnte dich auch interessieren: Draußen meditieren – Tipps fürs Meditieren in der Natur