Mit offenen Augen meditieren: Vor- und Nachteile

Einen Meditierenden stellt man sich oft so vor: aufrecht auf dem Boden sitzend, entspannte Ausstrahlung und geschlossene Augen. Für viele ist es selbstverständlich, beim Meditieren die Augen zu schließen und sich von den äußeren Eindrücken abzugrenzen.

In diesem Beitrag möchten wir auf die Unterschiede sowie Vor- und Nachteile zwischen dem Meditieren mit offenen Augen und dem Meditieren mit geschlossenen Augen eingehen. So viel möchten wir aber schon mal vorweg sagen: Beim Meditieren gibt es keine universellen Regeln.

Mit offenen Augen meditieren – wer macht sowas?

Während für viele das Meditieren mit offenen Augen vielleicht eine seltsame Vorstellung ist, gibt es tatsächlich mehrere Traditionen, die diese Art zu meditieren lehren. So gibt es z.B. im Zen viele Schulen, die nur das Entspannen der Augen und den unfokussierten Blick in die Leere empfehlen.

Dabei wird die Meditationshaltung wie gewohnt eingenommen, doch statt die Augen zu schließen, werden sie einfach ganz entspannt auf den Boden gerichtet. Dabei kann es passieren, dass die Augen mit der Zeit von allein zufallen – was in gewisser Weise auch das Prinzip hinter diesem Ansatz ist.

Der Gedanke ist, dass wenn die Augen nicht von selbst zufallen – so, wie es Körper und Geist gerade brauchen –, dann müssen sie auch nicht forciert geschlossen werden. Es ist der Weg des geringsten Widerstandes: Was passiert, das passiert, und was nicht passiert, das passiert nicht.

Auch von indischen Lehrern hört oder ließt man oft, dass die Augen bei der Meditation nicht komplett geschlossen werden sollten. Diese empfehlen, die Augen entspannt zu lassen, sodass sie maximal nur zur Hälfte geschlossen sind, und den Blick auf die Nasenspitze zu richten.

Hier spielt weniger der philosophische Gedanke dahinter eine Rolle, sondern der praktische Nutzen: die Konzentration. Aber zu den Vorteilen wollen wir jetzt kommen.

Vorteile mit offenen Augen

Das Meditieren mit offenen Augen hat zwei Hauptvorteile gegenüber dem Meditieren mit geschlossenen Augen. Diese sind:

Weniger ablenkende Gedanken und Fantasien

Wenn wir mit geschlossenen Augen meditieren, verschließen wir uns bis zu einem gewissen Grad von der äußeren Welt und richten unsere Aufmerksamkeit nach innen. Was dadurch passiert ist, dass der äußere „Lärm“ zwar leiser, der innere aber lauter wird. Unsere Gedanken sind plötzlich viel stärker und haben es leichter, uns in Fantasien und Tagträume mitzureißen.

Wenn wir die Augen beim Meditieren jedoch offen halten, bleiben wir stärker in der Realität verankert. So hat es unser Geist nicht so leicht, sich in Gedanken zu verlieren. Die visuelle Wahrnehmung der Umgebung in der wir meditieren dient dann quasi als Verbindungspunkt zum gegenwärtigen Moment.

Trainiert Achtsamkeit für den Alltag

Beim Meditieren geht es nicht nur darum, während der Zeit auf dem Kissen bewusst zu sein. Auch und vor allem im Alltag wollen wir den Effekt der Meditation haben: Klarheit, Achtsamkeit und innere Ruhe. Genau dafür ist das Meditieren mit offenen Augen die perfekte Übung.

Wenn wir mit offenen Augen meditieren, wird uns das Aufmerksamsein und stille Beobachten auch im Alltag leichter fallen. Warum? Weil wir auch im Alltag – für gewöhnlich – unsere Augen offen haben.

Die geöffneten Augen in der Meditation simulieren eine Bedingung, die auch im Alltag gegeben ist. So löst sich die Unterscheidung zwischen „jetzt meditiere ich“ und „jetzt lebe ich“. Meditation wird ein Teil der alltäglichen Erfahrungen – und anders wir die alltägliche Erfahrung des Sehens ein Teil der Meditation.

Nachteile mit offenen Augen

Nachdem du die Vorteile des Meditieren mit offenen Augen gelesen hast, kannst du dir die Nachteile vielleicht schon denken. Der größte Nachteil ist, sich nicht komplett nach Innen kehren zu können. Ziel der Meditation ist ja genau, uns unserem geistigen Innenleben zu stellen und es zu beobachten. Durch geöffnete Augen nehmen wir uns diese Chance zu einem gewissen Grad.

Eine weitere Sache die zu berücksichtigen ist, ist dass mit offenen Augen zwar die Gedanken nicht so sehr ablenken, dafür aber die äußeren Eindrücke. Das Visuelle kann sowohl die Konzentration stärken als auch die Konzentration schwächen. Die Vor- und Nachteile gleichen sich daher aus. Einen klaren Gewinner gibt es nicht.

Tipps zum Meditieren mit offenen Augen

Wenn du das Meditieren mit offen Augen einmal ausprobieren möchtest, kannst du ein paar Dinge beachten. Zum einen ist es empfehlenswert, die Augen wirklich zu entspannen und locker im Gesicht liegen zu lassen. Auch solltest du keinen Punkt wirklich anfokussieren, sondern einfach mit leerem Blick in den Raum schauen. Das hilft dabei, trotzdem die inneren Vorgänge der Gedanken und Emotionen wahrzunehmen.

Zum anderen ist es ratsam, bewegende Objekte im Blickfeld zu vermeiden. Diese werden einfach nur ablenken und nicht dienlich für die Meditation sein. Am besten ist es sogar, andere Sinneseindrücke wie Geräusche oder Gerüche zu meiden. Wenn mehrere Sinnesorgane aktiv sein müssen, wird es ein ständiges Hin und Her und nicht unbedingt beruhigend.

Der beste Ort für das Meditieren mit offenen Augen ist die Natur. Ein Wald, eine Wiese, ein See oder der Himmel sind Hintergründe, vor denen es sich perfekt mit offenen Augen meditieren lässt. Dann spielt auch eine Bewegung oder ein Geräusch nicht so eine große Rolle, da alles zu einer Symbiose verschmilzt – du, deine Umgebung und die Meditation.

Probiere es aus!

Der beste Tipp ist wie immer, es einfach mal auszuprobieren. Meditation ist etwas Individuelles und wir können nicht sagen, dass eine Herangehensweise besser ist als eine andere. Es kommt immer darauf an. Und das verändert sich auch im Laufe unserer Praxis.

Vielleicht hast du gerade erst angefangen zu meditieren und mit offenen Augen funktioniert es besser, da dein Geist noch sehr aktiv ist. Vielleicht meditierst du auch schon länger und brauchst einfach mal eine neue Perspektive während der Meditation.

So oder so ist das Meditieren mit offenen Augen etwas, das jeder Meditierende zumindest einmal ausprobiert haben sollte. Es kann uns zu einer neuen Sichtweise verhelfen und den meditativen Zustand mehr auf den Alltag abfärben.

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