Achtsamkeit ist die einfache menschliche Fähigkeit, präsent zu sein. Wer achtsam ist, der lebt im gegenwärtigen Moment und ist sich seiner Umgebung und sich selbst vollkommen bewusst. Obwohl Achtsamkeit eine Fähigkeit ist, die für alle Menschen auf ganz natürliche Weise abrufbar ist, können wir sie doch trainieren.
Achtsamkeitsmeditation ist das gezielte Üben dieser Fähigkeit – das bewusste Eintauchen in den natürlichen Zustand der Achtsamkeit. Einfach gesagt besteht die Achtsamkeitsmeditation aus dem nicht-bewertenden Beobachten unserer direkten Erfahrungen: den Sinneseindrücken, Gedanken und Emotionen.
Wie genau funktioniert Achtsamkeitsmeditation?
Achtsamkeitsmeditation zielt auf die Entwicklung von drei Fähigkeiten ab: Konzentration, Klarheit und Gleichmut.
Konzentration ist die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit bewusst auf etwas zu richten und sie willentlich, so lange man will, dort zu halten. Dazu gehört auch, den Bereich der Aufmerksamkeit auf einen ganz kleinen Punkt eingrenzen zu können.
Klarheit beschreibt die Intensität, mit der wir unsere Erfahrungen wahrnehmen. Kleine Details, die sich oft unserer bewussten Wahrnehmung entziehen, rücken mehr in den Vordergrund. Es ist, als würde man die Sinneseindrücke in einer höheren Auflösung erleben.
Gleichmut ist eine Geisteshaltung, in der wir weder bevorzugen noch ablehnen. Egal ob sich uns eine angenehme oder unangenehme Erfahrung offenbart – wir begrüßen sie gleichermaßen und akzeptieren sie.
Um diese Entwicklung zu erleichtern nimmt man sich für die formelle Achtsamkeitsmeditation nur einen kleinen Teil der gesamten gegenwärtigen Erfahrung und übt mit diesem. Für gewöhnlich besteht dieser Teil aus den Körperempfindungen – entweder aus allen oder nur aus einem kleinen Teil von diesen.
Am verbreitetsten ist die Achtsamkeitsmeditation mit den Körperempfindungen, die durch den Atemfluss entstehen. So kann man sich beispielsweise auf die Körperempfindungen konzentrieren, die beim Atmen in der Nase oder im Bauch entstehen. Auf diese Empfindungen richtet man seine ganze Aufmerksamkeit und probiert, sie so genau wie nur möglich zu spüren. Das war’s. Mehr ist es nicht.
Achtsamkeitsmeditation üben: So klappt’s
Meditation wird von manchen als ein irgendwie magischer und unbegreiflicher Prozess verstanden, der keiner Logik oder Wissenschaft zugrunde liegt. Während das für manche Meditationstechniken vielleicht zutreffen mag, könnte es für die Achtsamkeitsmeditation nicht weiter entfernt von der Wahrheit sein.
Die klassische Achtsamkeitsmeditation ist ein systematischer Prozess, der über die Jahrtausende mit wissenschaftlicher Genauigkeit erforscht und dokumentiert wurde. Jeder Mensch kann durch das einfache Wiederholung der Übung diesen Prozess durchlaufen und so Fortschritte erzielen. Im Grunde unterscheidet es sich überhaupt nicht von Sport oder körperlichem Training. Anstatt den Körper zu trainieren, trainieren wir hier lediglich den Geist.
Schritt für Schritt Anleitung
- Stelle einen Wecker. 3, 5 oder 10 Minuten – entscheide dich für eine Zeit und beende die Meditation erst, wenn es klingelt. Tipp: Stelle den Klingelton leise ein, damit du nicht aus der Meditation gerissen wirst, oder suche dir einen angenehmen Klingelton (z.B. ein Gong oder eine Klangschale).
- Setze dich hin. Die Sitzposition sollte sowohl bequem als auch stabil sein. Wenn du angenehm aufrecht sitzen kannst – super. Wenn nicht, dann lehne dich an.
- Werde dir des Raumes bewusst. Lasse deine Augen noch geöffnet und werde dir erst einmal des Raumes bewusst, in dem du sitzt. Was kannst du hören und sehen? Beobachte genau und werde dir bewusst: „Ich, hier, in diesem Raum“.
- Richte deine Aufmerksamkeit auf den Körper. Schließe dann deine Augen und beginne damit, deinen Körper wahrzunehmen. Spüre die Kontaktpunkte mit dem Boden/Kissen/Stuhl, mit deiner Kleidung und mit der Luft. Wie ist die Temperatur auf deiner Haut? Ist deine Wirbelsäule gerade? Sind deine Gesichtsmuskeln entspannt? Untersuche so mit dem Spürsinn deinen Köper.
- Spüre die Atem-Empfindungen. Wenn du beim vorherigen Schritt den Körper gründlich untersucht hast wird dir schon eine Sache aufgefallen sein: der Atem. Durch den Atemprozess bewegt sich ständig Luft in unserem Körper, durch die bestimmte Empfindungen entstehen. Ein Beispiel ist das Ausdehnen und Zusammenziehen des Bauches beim Ein- und Ausatmen. Richte nun deine Aufmerksamkeit auf einen Bereich im Körper, in dem du diese Atemempfindungen spüren kannst, und tue sonst nichts. Spüre einfach die Empfindungen des Atems in dem von dir festgelegten Bereich.
- Komme zurück zu den Atem-Empfindungen. Während du probierst die Empfindungen zu beobachten wird dein Geist abschweifen. Es werden alle möglichen Gedanken auftauchen, du wirst in Tagträume verfallen und deine eigentliche Aufgabe komplett vergessen. Das ist völlig normal. Sei nicht gekrängt, wenn es dir auffällt. Freue dich stattdessen, dass du es überhaupt bemerkt hast und bringe deine Aufmerksamkeit einfach zurück zum Atem.
- Und wieder zurück. Ein paar Sekunden später hast du den Atem vielleicht schon wieder komplett vergessen. Kehre dann einfach wieder zurück, ohne das geistige Abschweifen negativ zu werten. Wisse, dass die Übung genau darin besteht, das geistige Abschweifen und die unbewussten Phasen zu bemerken.
- Beende die Meditation – aber nicht die Achtsamkeit. Öffne langsam deine Augen, wenn der Wecker ertönt. Spüre noch mal mit geöffneten Augen deinen Atem und deinen ganzen Körper. Lasse dir dabei Zeit und gehe nicht gleich zur nächsten Aufgabe über. Wie fühlst du dich jetzt? Wie wirkt der Raum, in dem du sitzt? Je bewusster du deine Meditation beendest, desto leichter wird es dir fallen, die kultivierte Achtsamkeit aus der Meditation mit in den Alltag zu nehmen.
Fortschritte machen und Hindernisse überwinden
Manchmal kommt es vor, dass ein Mensch keine wirklichen Fortschritte macht, obwohl er sich schon lange in Achtsamkeitsmeditation übt. Die Gründe dafür können verschieden sein, aber meistens liegt es an falschen oder einfach zu vielen Vorstellungen. Denn meist sind unsere eigenen beschränkten Vorstellungen die Hindernisse, die wir auf dem Weg der Meditation überwinden müssen.
Hier ein paar Tipps, wie du das schaffen kannst:
Kümmere dich nicht um Gedanken
Eine weit verbreitete Vorstellung über Meditation ist, dass man keine Gedanken habe sollte. Es wird angenommen, dass man nicht gleichzeitig denken und achtsam sein kann. Das stimmt so jedoch nicht. Es ist durchaus möglich, tief zu meditieren und trotzdem einen durchgängigen Gedankenfluss zu erfahren – gerade während der Achtsamkeitsmeditation.
Der Trick ist, sich nicht in den Gedanken zu verlieren, sondern sie einfach neutral zu beobachten, wie jedes andere Objekt. So können die Gedanken im Hintergrund weiterhin ihr Ding machen, während im Vordergrund hauptsächlich die Atemempfindungen wahrgenommen werden.
Kommt der Meditierende immer wieder zu seinem Meditationsobjekt zurück, dann werden die Gedanken von selbst leiser und leiser. Zu probieren, sie zu unterdrücken und die gedankliche Stille herbeizuzwingen, funktioniert jedoch nicht. Ganz im Gegenteil: dadurch werden sie nur noch lauter.
Habe keine Erwartungen
Auch wenn es nicht einfach ist: erwarte nichts von deiner Praxis. Kümmere dich nicht um die Vorteile, die du dir durch das Meditieren erhoffst. Strebe auch nicht nach bestimmten Erfahrungen, von denen du gelesen oder gehört hast. Setze dich einfach hin und erlebe das, was jetzt gerade vor sich geht.
Lass passieren, was passiert
Beim Meditieren werden wir sowohl mit angenehmen als auch mit unangenehmen Erfahrungen konfrontiert. Mal gibt es Tage, das passiert alles von allein und die Meditation ist geprägt von Ruhe, Frieden und Gelassenheit. Dann gibt es Tage, da schmerzt der Körper und die Gedanken rasen wie verrückt. Das ist ganz normal.
Wir müssen lernen, diese Erfahrungen zu akzeptieren und einfach passieren zu lassen. Uns an die angenehmen Erfahrungen zu binden oder die unangenehmen Erfahrungen loswerden zu wollen bringt nichts, denn ohnehin ist keine von ihnen von Dauer – sie kommen und gehen wie sie wollen. Das einzig Sinnvolle, das wir tun können ist, diese Erfahrungen in ihrer ganzen Intensität zuzulassen und so achtsam wie nur möglich zu erleben.
Übe täglich
Achtsamkeit entwickelt sich am besten, wenn wir es täglich üben. Es ist wie mit einer Sprache oder beim Lernen eines Instruments: Der Schlüssel ist das beständige Üben und Anwenden des Gelernten. Dieser Punkt ist wirklich wichtig. Selbst wenn du am Tag nur eine freie Minute hast, dann nutze diese Minute für eine kurze Achtsamkeitsmeditation.
Der meiner Erfahrung nach beste Tipp ist, die Meditationspraxis mit anderen Gewohnheiten zu verbinden, die man täglich tut. So baut man sie eine Struktur ein, die schon existiert. Das erleichtert das Etablieren einer neuen Gewohnheit enorm. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel, immer nach dem Zähneputzen zu meditieren.
Du stehst morgens auf, putzt deine Zähne und setzt dich dann hin, um deine Achtsamkeitsmeditation zu praktizieren. Und bevor du abends ins Bett gehst, putzt du deine Zähne und setzt dich danach noch mal kurz zum Meditieren hin. So hättest du schon zwei Achtsamkeitsmeditationen am Tag, das wäre optimal.
Habe Geduld und Vertrauen
Letztlich ist es wichtig, in den Prozess zu vertrauen und Geduld zu haben. Das bedeutet auch, nicht ständig von einer Technik zur anderen zu wechseln, sondern eine zu wählen – wie die Achtsamkeitsmeditation – und dann erst einmal bei dieser zu bleiben. Das ist besonders wichtig, um wirkliche Fortschritte zu machen.
Wenn du so an deine Achtsamkeitspraxis herangehst, mit Geduld und Vertrauen, aber auch mit einer systematischen Technik, dann bist du auf einem guten Weg.
Achtsamkeitsmeditation im Alltag
Das Schöne an Achtsamkeit ist, dass wir uns immer darin üben können. Wir müssen uns nicht hinsetzen und von der Welt abkapseln, um achtsam zu sein. Wir können es in jeder Lebenssituation sein.
Während der formellen Achtsamkeitsmeditation lernen wir systematisch und unter perfekten Umständen, achtsam zu sein. Dies ist enorm wichtig, um überhaupt erst einmal die geistige Kapazität zu entwickeln und all die verschiedenen Bewusstseinszustände zu entdecken. Die dort gelernten Geisteshaltungen gilt es dann jedoch auf den Alltag zu übertragen, denn hier findet die eigentliche Achtsamkeitspraxis statt.
Sei dir jeder Aktivität bewusst
Die einfachste Anleitung für die Achtsamkeitsmeditation im Alltag ist: Sei dir jeder Aktivität bewusst. Das bedeutet, dass du dich zu jederzeit darauf konzentrierst, was du gerade tust. Egal was du tust, es wird zu deinem Meditationsobjekt.
Nehmen wir als Beispiel wieder das Zähneputzen. Für gewöhnlich läuft dieser Prozess wahrscheinlich ziemlich unbewusst ab und du bist währenddessen mit deiner Aufmerksamkeit irgendwo anders. Vielleicht machst du dir Gedanken über den vergangenen oder Pläne für den kommenden Tag. Beim Zähneputzen bist du jedenfalls nicht wirklich involviert, das passiert einfach so nebenbei. Das wollen wir ändern.
Anstatt irgendwo in Gedanken verloren zu sein, bringst du deine Aufmerksamkeit genau zu dem, was gerade faktisch vor sich geht. Keine Pläne, keine Vorstellungen, keine Interpretationen. Nur die direkte und unmittelbare Erfahrung.
Beim Beispiel Zähneputzen heißt das: zur Zahnbürste greifen, die glatte Oberfläche der Zahnpastatube fühlen, dem Wasser aus dem Wasserhahn horchen, die Füße auf dem Boden spüren und dann noch all die Empfindungen wahrnehmen, die beim Zähneputzen im Mund und im restlichen Körper entstehen.
Du wirst schnell merken, dass selbst bei einer so relativ unbedeutenden Tätigkeit wie dem Zähneputzen unglaublich viele Teile der Erfahrung neu entdeckt werden können, da du ihnen zuvor noch nie wirklich Aufmerksamkeit geschenkt hast. Und genau darum geht es bei der Achtsamkeitspraxis im Alltag.
Wir wollen die unbewussten Aspekte unserer Erfahrungen ins Bewusstsein bringen und dadurch einen direkteren Einblick in unser Leben und dessen Vorgänge haben. Dies wird nicht nur die Erfahrungen im Alltag bunter und schöner machen, sondern auch die formellen Achtsamkeitsmeditationen tiefer und tiefer werden lassen (was wiederum dazu führt, dass die Achtsamkeitspraxis im Alltag leichter fallen wird).
Vorteile von Achtsamkeitsmeditation
Achtsamkeitsmeditation ist eine Praxis, die für viele Dinge gut ist. Tatsächlich ist es schwer, einen Lebensbereich zu finden, der nicht positiv durch das Üben von Achtsamkeit und Meditation beeinflusst wird. Achtsam zu sein ist einfach immer besser, als nicht achtsam zu sein. Einige Wirkungen von regelmäßiger Achtsamkeitsmeditation sind zum Beispiel:
- Starke Konzentration. Konzentration ist eine Fähigkeit, die uns beim Erledigen unserer Aufgaben im Alltag enorm hilft. Während der Achtsamkeitsmeditation trainieren wir diese Fähigkeit gezielt und werde so immer besser darin.
- Geistige Flexibilität. Durch Achtsamkeitsmeditation werden wir offener für neue Sichtweisen. Anstatt unsere bisherigen Ansichten und Meinungen stur zu vertreten, können wir neue Perspektiven einnehmen und anders Denken, als wir es zuvor je getan haben.
- Mitgefühl und Verständnis. Diese geistige Flexibilität und Offenheit führt auch dazu, dass wir andere Menschen und ihre Sichtweisen besser verstehen. Wir können uns in ihre Lage versetzen und ihre Handlungen, Gedanken und Emotionen nachempfinden.
- Umfassendes Urteilsvermögen. Achtsamkeit und Meditation helfen dabei, bessere Entscheidungen zu treffen. „Besser“ in dem Sinne, dass sie durchdachter sind und nicht impulsiv getroffen werden. Anstatt wie immer den gewohnten Weg zu nehmen, kann man mit einem achtsamen und ruhigen Geist viel mehr Möglichkeiten abwägen.
- Erhöhte Widerstandsfähigkeit. Achtsamkeitsmeditation führt auch dazu, dass man widerstandsfähiger ist bzw. mit unangenehmen Erfahrungen besser umgehen kann. Schmerz, Leid und Trauer können viel schneller verarbeitet werden, wenn man ihnen achtsam begegnet und nicht vor ihnen flüchtet.
- Weniger Stress. Letztlich hilft Achtsamkeitsmeditation dabei, einfach weniger gestresst zu sein. Man geht ruhiger durchs Leben, lässt sich nicht mehr von Kleinigkeiten auf die Palme bringen und reagiert auf Situationen so, wie es nötig ist.
- und viele mehr! Achtsamkeitsmeditation hat viel mehr Vorteile, als man hier auflisten könnte. Sie erstrecken sich wirklich über alle Lebensbereiche. Egal worin du besser werden möchtest, Achtsamkeit und Meditation werden dir dabei helfen.
Bleib am Ball!
Das Wichtigste beim Erlernen der Achtsamkeitsmeditation ist, dass du am Ball bleibst. Konkret heißt das, dir mindestens einmal am Tag Zeit zu nehmen, dich hinzusetzen und die formelle Achtsamkeitsmeditation zu üben. Es muss nicht lange sein – die Hauptsache ist, du tust es. Wenn du dann noch probierst, im Alltag bei den kleinsten Aktivitäten achtsam zu sein, dann bist du auf einem sehr guten Weg und wirst schnell merken, was du all die Jahre verpasst hast.
Was ist wenn man von sehr starken negativen Emotionen beherrscht wird, wie Angst oder Depression? Sollte man sich dann diesen Emotionen bzw. Körperempfindungen zuwenden und sie zum Gegenstand der Mediation machen? Ist das überhaupt möglich? Oder versuchen, sie nur zu beobachten und sich immer wieder dem Atem zuwenden? Das erscheint mir fast unmöglich.