Der Abend ist wie der Morgen eine besondere Tageszeit. Die Sonne geht unter und die Welt legt sich schlafen. Gleichzeitig erwacht aber auch etwas – die Nacht, der Sternenhimmel und für uns die Träume. Es ist eine Übergangsphase zwischen Tag und Nacht, zwischen unserem Alltagsbewusstsein und dem Teil unseres Bewusstsein, der versteckt ist.
Für viele frühere Kulturen war der Abend eine besonders magische Zeit, zu der sie Kontakt mit diesem versteckten Teil ihres Bewusstseins – ihren Ahnen – aufgenommen haben. Sie haben diese Übergangszeit ganz bewusst erlebt und sich auch bewusst Schlafen gelegt.
Heute ist unsere Schlafkultur eine andere. Wir ziehen den Tag so lange nach hinten wir nur möglich und legen uns dann erschöpft ins Bett. Dabei nehmen wir all unsere Sorgen und Wünsche des Tages mit uns. Von einem bewussten Erleben dieses als früher magisch angesehen Teil des Zyklus, den wir Leben nennen, kann heute leider nicht mehr die Rede sein.
Bevor wir Schlafen gehen ziehen wir unsere Alltagskleidung aus, waschen unser Gesicht und putzen unsere Zähne. Doch so wie wir unseren Körper bettfertig machen, sollten wir es auch mit unserem Geist tun. Vor dem Schlafengehen zu meditieren ist eine wunderbare Möglichkeit, genau das zu tun. Warum das sinnvoll ist und wie du das am besten machst, erkläre ich dir jetzt.
1. Du kannst den Tag hinter dir lassen
Über den Tag haben sich viele Erfahrungen angesammelt, denen du, während sie passiert sind, vielleicht nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt hast. Sie lungern immer noch in deinem Geist herum und probieren, aufgearbeitet zu werden. Du hast sie am Tag nicht bewusst erlebt und dafür beanspruchen sie dieses Bewusstsein jetzt.
Das ist nicht grundsätzlich verkehrt, sorgt aber dafür, dass du das, was im Hier und Jetzt vor sich geht wieder nicht wirklich bewusst erlebst. Du sammelst also wieder solche ungelebten Erfahrungen an, die dann wieder aufgearbeitet werden wollen – und so geht es weiter und weiter und weiter. Es ist ein ständiger Kreislauf, den es zu unterbrechen gilt. Und der Abend ist der perfekte Zeitpunkt dafür.
Wenn du vor dem Schlafengehen meditierst, kannst du einen klaren Schlussstrich ziehen. Anstatt dich weiterhin mit diesen Eindrücken der Vergangenheit zu beschäftigen, bringst du deine Aufmerksamkeit wieder zu dem, was gerade wirklich vor sich geht. Das hat den selben Effekt, wie wenn man den Müll herausbringt oder alle angesammelten Emails im Posteingang abarbeitet. Danach fühlt man sich einfach besser und kann sich wieder auf das konzentrieren, was vor einem liegt.
2. Dein Schlaf wird erholsamer sein
Heutzutage haben viele Menschen Schlafprobleme. Sie können nicht gut einschlafen, wachen in der Nacht ständig auf oder sind am Morgen einfach nicht wirklich regeneriert. Die einfachste Lösung scheinen dann Schlaftabletten oder Nahrungsergänzungsmittel wie Melatonin zu sein. Dabei gibt es eine viel bessere und natürliche (und kostenlose) Lösung – Meditation.
Eine Meditation am Abend, am besten direkt vor dem Schlafengehen, entfernt die meisten Ursachen der Schlaflosigkeit. Oft sind es Gedanken und Sorgen über den Tag, die uns wach halten und von einem guten Schlaf hindern. Oder es sind Albträume, die uns in der Nacht aufwecken und nicht wieder einschlafen lassen.
Schon durch eine kurze Meditation werden deine Gedanken ruhiger werden. Du kommst aus deinem Kopf heraus und verankerst dich stärker mit deinem Körper, deinem Atem. Dies hilft dabei, all die Sorgen und Wünsche ziehen zu lassen und einfach nur zu sein. In diesem Zustand, der dem Schlaf gar nicht so fremd ist, wird das Einschlafen leichter fallen und die Nacht viel erholsamer sein.
3. Der nächste Tag beginnt gut
Ich sage gerne, dass man den ersten Stein des Tages gleich am Morgen nach dem Aufwachen legt und daher vorsichtig wählen sollte, welcher Stein das ist. Das ganze Fundament des Tages baut auf diesem einen Stein auf. Tatsächlich aber kann man den ersten Stein des Tages schon am Abend zuvor legen, noch bevor man einschläft.
Jeder Meditierende weiß: Meditieren am Morgen erzeugt eine Art Flamme, die einen über den ganzen Tag hinweg begleitet. Man geht bewusster durch den Tag, trifft bessere Entscheidungen und ist generell einfach glücklicher. Was jedoch nicht alle wissen: Schon eine Meditation am Abend zuvor kann diese Flamme entzünden.
In der Nacht hilft sie uns dabei, tiefer zu schlafen und von unserem Alltagsbewusstsein loszulassen. Auch sorgt sie dafür, dass unsere Träume klarer sind und wir sie dadurch besser verarbeiten können. Das beste ist jedoch, dass sie auch am Morgen noch glüht, sobald wir aufwachen. So ist der erste Stein am Tag ein Stein der Meditation, Aufmerksamkeit und Klarheit. Über den Tag hinweg achtsam zu sein ist dann wirklich ein Kinderspiel.
4. Du lernst deine Psyche besser kennen
Schlaf ist ein unheimlich spannenden Vorgang, über den wir heutzutage noch gar nicht so viel wissen. Klar, der Körper entspannt und regeneriert sich. Aber was geht eigentlich im Geist so vor sich? Und was ist mit uns?
Für gewöhnlich driften wir beim Einschlafen in unbewusste Gedanken ab und sind dann wie „weg“. Unser Bewusstsein scheint ausgeknipst und wir nicht mehr da zu sein.
In Wirklichkeit sind wir jedoch durchgängig anwesend. Es ist nicht so, dass wir erst am Morgen wieder anfangen zu existieren. Unser Bewusstsein – oder besser unser Sein – ist in all den verschiedenen Phasen des Schlafes präsent.
Durch Meditation vor dem Schlafengehen und während des Einschlafens kannst du dieses Sein erkunden und deine Psyche besser kennenlernen. Du kannst einen direkten Kontakt mit dem Teil deines Selbst aufbauen, der unabhängig vom alltäglichen Leben existiert. Fragen wie „Wer bin ich, wenn ich nichts habe?“, können so eine Antwort finden.
5. Es kostet keine Zeit
Ein ganz pragmatischer Grund vor dem Schlafengehen zu meditieren ist: Es kostet keine Zeit! Wirklich nicht. Am ehesten noch bringt es Zeit. Denn die Zeit, die man am Abend in der Meditation verbringst, macht man durch den daraus resultierenden (besonders erholsamen) Schlaf wieder gut.
Das Gute ist auch, dass man eine Meditation vor dem Schlafengehen nicht planen muss. Sie nimmt keinen extra Platz im Tagesablauf ein, wie z.B. am Morgen, da man ja ohnehin zu Bett geht. So ist es sehr einfach, sie mit in die Abendroutine einzubauen. Man legt sich einfach etwas später ins Bett. Es muss ja keine ewig lange Meditation sein. Ein paar Minuten reichen schon, um einen deutlichen Unterschied zu merken.
Welche Meditationstechniken eignen sich für den Abend?
Es gibt viele verschiedene Meditationstechniken mit unterschiedlichen Zielen. Manche kultivieren Konzentration, andere Mitgefühl. Manche sind aktiv, andere passiv. Welche Meditationstechnik die beste für deine Praxis ist hängt also von verschiedenen Faktoren ab.
Grundsätzlich ist es natürlich sinnvoll, auch am Abend mit der Technik zu praktizieren, mit der du es sonst tust. Möchtest du jedoch mal eine neue Technik ausprobieren, dann kann ich eine der folgenden beiden Techniken für den Abend empfehlen.
Bodyscan Meditation (Vipassana)
Die Bodyscan Meditation ist eine Form der Vipassana-Meditation und besteht darin, die Aufmerksamkeit gezielt auf die Körperempfindungen zu richten. Dabei geht man vom Kopf bis Fuß jedes einzelne Körperteil nacheinander durch und probiert diese so intensiv wie nur möglich zu spüren. Wenn man an den Füßen angekommen ist, kann man diesen Prozess wiederholen, ihn umkehren oder einfach bei der Wahrnehmung des gesamten Körpers bleiben.
Diese Meditationstechnik hat den Vorteil, dass man mit der Aufmerksamkeit raus aus dem Kopf und rein in den Köper kommt. Gerade nach einem langen Tag, an dem sich unzählige Gedanken angesammelt haben, kann diese Technik eine sehr erdende und entspannende Wirkung haben. Aber auch so ist Vipassana eine der besten (und ältesten) Techniken, um meditative Einsichten zu erlangen.
Metta Meditation
Mettā ist Pali und bedeutet soviel wie Liebe, Güte oder Mitgefühl. Bei der Metta Meditation geht es also darum, Gefühle der Liebe und des Wohlwollens gegenüber allen anderen Lebewesen zu kultivieren. Ebenso wie die Vipassana Meditation ist die Metta Meditation eine Technik, die vor rund 2500 Jahren vom historischen Buddha gelehrt wurde.
Die Metta Meditation ist eine wunderbare Technik, die man eigentlich in jede Meditation für ein paar Minuten einbauen kann. Vor dem Schlafengehen eignet sie sich aber besonders dafür, um die Handlungen des Tages und Begegnungen mit anderen Menschen noch einmal Revue passieren zu lassen und zu schauen, ob irgendwo Gefühle von Ungunst, Neid oder Hass aufgetreten sind. In der Meditation kann man diese dann aufarbeiten und bewusst in positive Emotionen umwandeln.
Diese Transformation hat unglaublich schöne Wirkungen, sorgt am Abend aber vor allem dafür, dass du mit dem Tag abschließen und mit einem wohligen Gefühl ins Bett gehen kannst.
Just do it!
Vor dem Schlafengehen zu meditieren ist eine einfach toll. Die Wirkungen sind enorm und der Aufwand ist minimal. Das einzige was man tun muss, ist, es zu tun. Also nimm dir noch heute Abend die Zeit, um dich vor dem Schlafengehen ein paar Minuten hinzusetzen und zu meditieren! Es muss wirklich nicht lange sein – die Hauptsache ist, du tust es.