Wie wir durch Meditation unsere Ängste besiegen können

Unser Leben wird von zwei Dingen dominiert: Liebe und Angst. Beobachten wir unser Verhalten genau, können wir jede Handlung, jedes Wort, ja jeden Gedanken auf diese zwei Eigenschaften zurückführen. Entweder tun wir etwas aus Liebe für etwas oder aus Angst vor etwas. Jeder alltäglicher Impuls kommt entweder aus der einen oder aus der anderen Richtung.

Meistens spielen diese beiden Seiten miteinander. Erst lieben wir etwas und dann fürchten wir, dass wir es verlieren. Vielleicht denken wir, dass wir nicht gut genug sind oder Liebe nicht verdienen. So kann aus Liebe schnell Angst werden. Andersherum kann aus Angst jedoch auch eine tiefe und bedingungslose Liebe entstehen, denn letztlich sind Liebe und Angst zwei Seiten derselben Medaille. Doch wie bringen wir die liebende Seite zum Vorschein?

Wir erschaffen unsere Ängste

Untersuchen wir unsere Ängste genauer, werden wir feststellen, dass sie auf bestimmten Annahmen beruhen. Jeder von uns lebt in seiner eigenen kleinen Wirklichkeit. Wir sind davon überzeugt, dass wir so und so sind und dass die Welt auf eine bestimmte Art und Weise ist. Genau diese grundlegenden Überzeugungen über uns und die Welt sind es, die uns Angst machen.

Vielleicht glauben wir, dass wir nicht gut genug sind, dass wir etwas nicht verdienen oder dass die Welt es nicht gut mit uns meint. Vielleicht sind wir davon überzeugt, dass jeder zum Glück finden kann, außer wir. Irgendetwas scheint mit uns nicht zu stimmen, so meinen wir, und „es ist nun mal einfach so“.

Diese tiefen Überzeugungen und Glaubenssätze sind der Ursprung unserer Angst. Sie beruhen auf vergangenen Erfahrungen und dem, was uns in der Kindheit beigebracht wurde (direkt oder indirekt).

Der psychotherapeutische Ansatz ist, diese Ängste zu ihrer Entstehung zurückzuverfolgen und so verstehen zu lernen. Wissen wir, warum sie da sind, können wir sie leichter auflösen. Aus diesem Grund geht es in Therapiesitzungen meist um das Ausrollen und Durchgehen der Vergangenheit, insbesondere der Kindheit.

Dieser Ansatz hilft vielen Menschen dabei, mehr über ihre Ängste herauszufinden. Doch allein dadurch verschwinden sie nicht. Die Ängste werden zwar besser verstanden, aber der Boden, in dem sie sprießen, ist immer noch vorhanden und bringt viele Früchte hervor.

Ängste als irrational erkennen

Gefahren sind echt, Ängste hingegen sind in den meisten Fällen irrational und erfüllen keinen positiven Nutzen. Wenn der Geist einen Eindruck erfährt, den er, aus welchem Grund auch immer, mit Gefahr und etwas Schlechtem verbindet, entsteht Angst.

Wenn du beispielsweise als Kind ein traumatisches Erlebnis hattest, z.B. in den Keller eingesperrt wurdest, dann war die Angst zu dem Zeitpunkt des Geschehens absolut gerechtfertigt und gesund – dein Körper wollte aus der gefährlichen Situation fliehen oder gegen sie ankämpfen.

Nun kann es sein, dass du aufgrund dieser Erinnerung bei dem Anblick von ungefährlichen engen Räumen, wie zum Beispiel einem Fahrstuhl, dieselbe Angst empfindest. Obwohl die Angst zum Zeitpunkt des Missbrauchs in der Kindheit rational und richtig war, ist sie nun zu einer irrationalen Angst geworden, die nicht beruht auf dem was ist, sondern auf dem was war.

Dieser Unterschied ist sehr wichtig und auch genau der Punkt, warum Meditation so hilfreich ist gegen Angstzustände. Meditation erlaubt uns ganz im Hier und Jetzt anzukommen, bei dem was gerade vor sich geht, und es mit neuen und kindlichen Augen so zu betrachten, als würden wir es das erste Mal erfahren – ganz unvoreingenommen.

Durch regelmäßiges Meditation lernen wir außerdem, unsere Gedanken, Emotionen und vor allem unsere automatischen Reaktionen im Alltag zu beobachten und somit zu ändern. So können wir klar erkennen: Da ist der Fahrstuhl, da ist die Erinnerung, da ist die Empfindung im Körper, hier bin ich und beobachte das alles. Wir können unsere Erfahrung in ihre Einzelteile zerlegen und ihr somit den Druck nehmen, den sie auf uns ausübt.

Was im Körper vor sich geht

Die Art von Stress die im Moment der Angst durch unseren Körper geht kann sich unkontrollierbar anfühlen. Das Herz beginnt zu rasen, der Atem wird unruhig und die Gedanken und Erinnerungen strömen nur so in den Verstand hinein, ohne irgendeine Richtung zu haben. Kurz: Es entsteht Chaos.

Diese angstvolle Reaktion entsteht durch die Amygdala, welche eine Art Warnsystem in unserem Gehirn ist. Sie initiiert den „Kampf oder Flucht“-Impuls. Die dazugehörigen Gedanken über den aktuellen Zustand der Angst werden im präfrontalen Kortex formuliert, welcher Wörter dazu benutzt, um die auftretenden Emotionen zu verstehen.

Dieser Prozess zwischen der Amygdala und dem präfrontalen Kortex ist wo Meditation und die Heilung der Angst ins Spiel kommt. Denn so wie eine Person ihre Situation benennt – das nehme ich hier wahr, das nehme ich dort wahr –, so nimmt die Aktivität in der Amygdala ab und so auch die Reaktionen im Körper.

Dieses zur Ruhe kommen der Amygdala können die Symptome und auch die Angst selbst schon im Vorhinein, bzw. sobald sie auftreten, auflösen. Und genau das lernen wir beim Meditieren: wie wir unsere gegenwärtige Situation sachlich wahrnehmen und sie bewusst verarbeiten können.

Wenn beispielsweise eine Person mit Klaustrophobie das so regelmäßig praktizieren würde, könnte sie lernen, ihre gedanklichen, emotionalen und körperlichen Reaktionen direkt zu beobachten und zu benennen, wie „Zusammengezogenheit im Brust- und Kehlbereich“, „Bildgedanke an Erinnerung aus Kindheit“ oder „Gefühl von Kontrollverlust“. So erlaubt sie ihnen da zu sein, jedoch ohne ihnen all seine Aufmerksamkeit zu geben. Die Aufmerksamkeit wird so von den wahrgenommen Objekten zurück zum Wahrnehmenden oder zur Wahrnehmung selbst gebracht.

Je mehr die Person diese Fähigkeit übt und die Gewohnheit entwickelt sich sachlich auf das zu konzentrieren was ist, desto besser wird sie mit Angst- und Stress-auslösenden Erfahrungen umgehen können – ohne sie mit einer negativen Erinnerung zu assoziieren.

Das kontinuierliche Üben von Meditation und Achtsamkeit wird dir dabei helfen, irrationale Ängste und tatsächliche alle Erfahrungen im alltäglichen Leben sachlich wahrzunehmen, ohne sie durch den Filter deiner Erinnerungen zu betrachten. Diese direkte Wahrnehmung führt dazu, dass die Amygdala aufhört, den Körper bei jedem kleinen Trigger in einen Stresszustand zu versetzen – Ruhe und Gleichmütigkeit ist die Folge.

Meditationsübungen zum Überkommen von Ängsten

Nun werde ich dir drei Meditationsübungen vorstellen, mit denen du lernen kannst, ganz ruhig und bewusst die Reaktionen im Körper und Geist auf Panik-Situationen wahrzunehmen und so aufzulösen. Anfangen tue ich mit der einfachsten und vielleicht wirkungsvollsten Technik.

1. Achtsamkeitsmeditation – spüre, atme, beobachte

Achtsamkeitsmeditation (Vipassana) ist die klassische Meditationstechnik im Buddhismus und hat sich im Umgang mit Ängsten als sehr wirkungsvoll erwiesen. Bei der Achtsamkeitsmeditation, ganz bewusst und aufmerksam das wahrzunehmen, was gerade vor sich geht. Es ist eine passive Meditationsübung, da wir in das, was vor sich geht, nicht eingreifen, sondern es einfach nur beobachten wollen.

Durch dieses stille Beobachten und das daraus resultierende Verstehen der Wirkungsweisen von unserem Körper-Geist lösen sich Dinge wie Ängste und Sorgen von selbst auf. Indem wir sie bewusst beobachten entnehmen wir ihnen ihre Existenzgrundlage – die Unbewusstheit, das Dunkle, das Versteckte. Öffnen wir die Vorhänge, kommt das Sonnenlicht von selbst ins Zimmer.

Am häufigsten wird Achtsamkeitsmeditation mit dem Atem geübt. Dabei wird der Atemfluss nicht bewusst verändert, sondern einfach nur beobachtet. Wie fühlt es sich an, wenn der Atem in den Körper einströmt und wie fühlt es sich an, wenn er ihn verlässt? Was können wir in den Momenten wahrnehmen, in denen der Atem zwischen den Aus- und Einbewegungen stillsteht?

Bei dieser Übung ist es hilfreich, wenn du dich auf die tatsächlich wahrnehmbaren Empfindungen im Körper konzentrierst, die der Atem auslöst. Beobachte den Atem nicht als Konzept – denke nicht über ihn nach –, sondern fühle ihn einfach so ungefiltert wie es dir möglich ist.

Dafür kannst du dir einen Punkt im Körper aussuchen, an dem du den Atem ganz besonders beobachtet. Beliebt sind die Nasengänge und der Bauch. Entscheidest du dich für die Nasengänge, kannst du z.B. beobachten, wie die Luft kalt einströmt und wieder warm ausströmt. Entscheidest du dich für den Bauch kannst du beobachten, wie sich beim Einatmen die Bauchdecke hebt und beim Ausatmen senkt.

Andere Körperregionen sind natürlich auch möglich, wie der Brust- oder Kehlbereich. Wenn es dir leichter fällt oder du schon vertraut mit der Achtsamkeitsmeditation bist, kannst du auch probieren, den Atem als Ganzes wahrzunehmen mitsamt deinem Körper.

Die Achtsamkeitsmeditation mit dem Atem kannst du ganz formell bei dir Zuhause sitzend üben, aber auch im Alltag in Situationen anwenden, die dich überfordern oder Angst auslösen. Schließe deine Augen, bringe die Aufmerksamkeit zu deinem Atem und beobachte wie er ein- und ausfließt.

2. Bodyscan-Meditation – löse Spannungen auf

Eine weitere gute Übung im Umgang mit Ängsten ist der Bodyscan, welcher ebenfalls aus dem Vipassana kommt und das Beobachten als Grundlage hat. Beim Bodyscan bleiben wir mit unserer Aufmerksamkeit jedoch nicht bei einem bestimmten Vorgang, wie dem Atem, sondern gehen Stück für Stück alle körperlichen Empfindungen durch, die erfahrbar sind.

Dies hat den großen Vorteil, dass wir Empfindungen, insbesondere unbewusste Anspannungen, aufspüren und auflösen können. Phobien und Ängste sind nicht rein psychologische Zustände, sondern machen sich auch auf körperlicher Ebene bemerkbar – durch subtile Kontraktionen von Muskeln, einer abwehrenden Körperhaltung oder Ähnlichem. Durch den Bodyscan können wir uns dieser Muster bewusst werden und sie heilen.

Der Bodyscan lässt sich sehr gut auf dem Rücken liegend üben; in Savasana, der Totenstellung. Wenn du angenehm und entspannt für 10-20 Minuten aufrecht sitzen kannst, kannst du ihn aber auch auf einem Kissen sitzend auf dem Boden praktizieren. Eins ist jedoch sowohl im Liegen als auch im Sitzen wichtig: der feste Kontakt zum Boden.

Wenn du deine Position gefunden hast, schließe deine Augen und nimm einige tiefe und aufmerksame Atemzüge. Werde dir wie bei der Achtsamkeitsmeditation erst einmal deines Atems bewusst und fühle den Atem ein- und ausströmen. Dies hilft dabei, die Aufmerksamkeit von der äußeren Welt nach Innen zu verlagern und bereitet dich auf den Bodyscan vor.

Bringe dann deine Aufmerksamkeit zu deinen Füßen. Aufmerksamkeit heißt hier nicht, an deine Füße zu denken, sondern deine Füße zu spüren. Spüre, welche Empfindungen du im Moment dort wahrnimmst. Empfindungen nach denen du Ausschau halten kannst sind z.B.: der Kontakt der Füße mit den Socken, dem Boden, der Luft oder Temperatur.

Vielleicht nimmst du auch irgendwo ein Jucken, Kribbeln oder andere kleine Bewegungen wahr. Reagiere auf diese nicht, sondern nimm sie einfach wahr. Wenn du deine Füße spürst, entspanne sie bewusst. Lasse alle Anspannungen los. Wenn du magst, kannst du im Geiste eine Affirmation wiederholen, wie „Ich entspanne meine Füße, meine Füße sind vollkommen entspannt.“ Auch kannst du mit deiner Vorstellung in die Füße hineinatmen und beim Ausatmen die Füße strahlen lassen.

Sobald du ein gutes Gespür für deine Füße empfindest und sie entspannt sind, gehe so weiter zum nächsten Körperteil, bis du den Kopf erreichst. In welcher Reihenfolge du vorgehst ist dir überlassen. Eine mögliche Reihenfolge ist: Füße, Waden, Knie, Oberschenkel, Geschlechtsorgane, Gesäß, Hüften, Bauch, unterer Rücken, oberer Rücken, Brust, Schultern, Oberarme, Unterarme, Hände, Nacken, Hals, Kiefer, Mund, Augen, Schläfe, Stirn, Schädeldecke. Achte einfach darauf, jeden Körperteil einmal ganz bewusst für einige Momente gespürt zu haben.

Wenn du dann mit deiner Aufmerksamkeit dann einmal vollständig von unten nach oben durch den Körper gewandert bist, kannst du, wenn du magst, wieder nach unten wandern und einen zweiten Durchgang starten, oder aber deine Aufmerksamkeit nun auf deinen gesamten Körper ausdehnen. Fühle und beobachte den Körper als Ganzes, als gehöre er nicht dir. Fühle den Kontakt mit dem Boden, mit der Kleidung, der Luft … und lasse alle Empfindungen auftreten, so wie sie es möchten.

Diese Übung wird dir enorm dabei helfen, in Situationen der Angst ruhig zu bleiben und vernünftig zu handeln. Denn Ängste zeigen sich immer auch als Empfindung im Körper, und wenn wir diese beobachten und benennen können, dann verlieren sie ihre Macht über uns.

3. Visualisierungsmeditation – benutze deine Vorstellung

Eine weitere Möglichkeit Ängste zu heilen ist durch Visualisierung. Visualisieren kann dabei helfen, Ängste in etwas Schönes zu transformieren – es verändert unsere Beziehung zu ihnen. Dabei ist der Kreativität kein Ende gesetzt. Eine beliebte Visualisierungsmeditation ist folgende:

Sitze in einer angenehmen Position für deine Meditation, mit einem geraden Rücken und geschlossenen Augen. Lass den Atem seinen natürlichen Fluss folgen. Rufe dir nun ins Bewusstsein, wovor du dich fürchtest. Lasse die Vorstellung klar entstehen und wisse, dass sie dir nichts anhaben kann.

Visualisiere dann diese Ängsten zusammen mit all ihren Ursachen und Erinnerungen als eine dichte, dunkle Nebelwolke und atme sie aus. Sieh wie der Nebel deine Nasengänge verlässt und im All verschwindet, wo er sich komplett auflöst und nie zurückkommen wird.

Stelle dir dann vor, wie du mit dem nächsten Einatmen reine, leichte und liebevolle Energie in Form von angenehmen, weiß strahlendem Licht einatmest. Lasse dieses Licht alle Ecken deines Körpers und deines Geistes füllen. Meditiere so für eine Weile und spüre das Licht in dir – Klarheit, Frieden, Furchtlosigkeit und Liebe.

Mit Ängsten umzugehen ist erlernbar

Ängste können uns manchmal so groß und mächtig erscheinen, als gäbe es nichts, was wir gegen sie tun können. Schauen wir jedoch einmal genauer hin, merken wir, dass sie nicht das sind, für was wir sie halten. Ängste haben nur die Macht über uns, die wir ihnen geben – sie existieren nicht unabhängig von uns, halten sich nicht selbst am Leben.

Durch Meditation können wir diese Klarheit gewinnen und einen komplett neuen Umgang mit Ängsten finden. Das stille und sachliche, aufmerksame Beobachten aller auftretenden Empfindungen ist die Grundlage dafür. Wenn wir beobachten, dann können wir verstehen, und wenn wir verstehen, dann können wir verändern.

Schreibe einen Kommentar